Mord unter den Linden by Tim Pieper

Mord unter den Linden by Tim Pieper

Autor:Tim Pieper [Pieper, Tim]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Tags: Krimi
ISBN: 9783863580612
Herausgeber: Emons Verlag
veröffentlicht: 2012-03-07T23:00:00+00:00


Die Stunden verstrichen, und rasch vergaß Otto die Zeichnung des Commissarius. Er unterhielt sich prächtig mit seinen Gästen und wärmte mit Weggefährten früherer Tage alte Anekdoten auf. Trotzdem musste er ständig an Rieke denken. Seit dem Bootsausflug und seinem überstürzten Aufbruch hatte er nichts mehr von ihr gehört. Würde sie tatsächlich seiner Einladung folgen?

Otto seufzte und sah sich um. Das Fest war ein voller Erfolg. Das vornehme Restaurant de l'Europe sorgte für die kulinarischen Genüsse. Zum Speiseangebot zählten russischer Kaviar, Suppe mit Spargelspitzen, Rheinlachs mit Grüner Soße, Putenbraten mit Rosinen, Lammrücken mit Gemüse, Hummer mit Tatarensoße, Schnepfen, Parfait von der Straßburger Gänseleber, gebratene Champignons, Punschspeise mit Branntweinkirschen, Käse und Rote Grütze mit Vanillesoße. An Weinen wurden der Sechsundachtziger Marcobrunner und ein Neunundsechziger Château Lafitte ausgeschenkt, an Champagnern der Clicquot dry und der Moët et Chandon Impérial Brut. Für die zünftigeren Gäste wurde das schwere Kulmbacher Bier gezapft. Zur Unterhaltung traten fünf Artisten auf, die Saltos sprangen und menschliche Pyramiden bauten. Ein Feuerschlucker spie zwei Meter lange Flammen, ein Jongleur ließ bis zu sechs Bälle in der Luft kreisen und balancierte dabei auf einem Bein oder hüpfte auf und ab. Alle Vorführungen wurden mit stürmischem Applaus belohnt.

Zufrieden lächelte Otto, dann schlenderte er in Richtung Tanzboden und sah dem ausgelassenen Treiben zu. Galopp, Walzer, Polka und Rheinländer zählten nicht zu den vornehmen Tänzen und wurden wegen ihrer Volkstümlichkeit häufig verschmäht. Doch trotzdem wurde ein ums andere Mal ein Gassenhauer verlangt, und selbst die nobelsten Gäste hüpften über die Bretter, bis ihnen der Schweiß von der Nase tropfte. Otto grinste und ging durch den von Fackeln und bengalischem Licht illuminierten Garten zum Bootsanleger, um nach dem Rechten zu sehen. Eifrig bereiteten Ferdinand und Moses hier den Höhepunkt des Festes vor, ein großes Feuerwerk.

Otto ging zurück und zog dabei bestimmt schon zum zehnten Mal seine Taschenuhr hervor. Die Zeiger strebten gegen Mitternacht. Jetzt müsste Rieke doch so langsam kommen. Die Aufführung im Belle-Alliance-Theater war längst vorüber. Otto stellte sich auf die Zehenspitzen und hielt nach seinem Dienstmädchen Lina Ausschau, die heute für den Empfang der Gäste und die Garderobe zuständig war. Er hatte ihr aufgetragen, ihm Riekes Eintreffen sofort zu melden.

Doch statt Lina entdeckte er zu seiner freudigen Überraschung Rieke selbst. Sie trat in diesem Moment auf die Terrasse und ging bis zum Treppenabsatz, wo sie verharrte und sich nach allen Seiten umschaute. Die anderen Gäste blickten ihr nach, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.

In den vergangenen Tagen hatte Otto sich diesen Moment häufig vorgestellt, aber mit einer solchen Erscheinung hatte er nicht gerechnet. Rieke war von einer märchenhaften, beinahe ätherischen Schönheit. Sie trug ein silberfarbenes Kleid. Das Oberteil und die engen, netzartigen Ärmel waren mit kunstvollen Ornamenten verziert. Entgegen der Mode trug sie das lange blonde Haar offen. Es legte sich mit einem zarten Goldschimmer über ihre Schultern.

Als Rieke ihn erblickte, raffte sie ihre Röcke und kam lächelnd auf ihn zu. »Ich hab mich so beeilt«, sagte sie. »Ich wollte unbedingt pünktlich sein.«

Otto wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als die Nacht explodierte.



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